Donnerstag, März 28, 2024

Kurzbiografie von Willi Winkler aus der SZ

Hier eine Kurzbiografie von Willi Winkler, erschienen am 12.11.2005 im Wochenendteil der SZ. Vielen Dank an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! für die Genehmigung zur Veröffentlichung!

Das ist, Damen und Herren, die lehrreiche und manchmal sogar gespenstische Geschichte von Neil Young, dem Mann, der alles gesehen und es auch noch überlebt hat. Zur Nachahmung ist dieses infektuöse Leben nicht empfohlen, aber hören kann man ihn meist doch ohne Nebenwirkungen.

Es hätte nämlich auch ganz anders kommen können.

Ende 1975 tauchte aus dem Nichts Stephen Stills auf, der einfach nicht lassen mochte von seinem ärgsten Feind. Gemeinsam nahmen sie ein Album auf, das wieder einmal bei der Kritik durchfiel als "wenig inspiriert" und "weitere Unverschämtheit". Aber was wissen Kritiker schon, und von Musik, von reiner Musik verstehen sie doch rein gar nichts. Zusammen sangen die zwei ein falsettiges Duett, in dem sie sich eine gemeinsame Biografie erfanden, die ihr Paarleben so ideal schilderte, wie es leider nie war: "Long May You Run".


Well, it was back in Blind River in 1962
When I last saw you alive
But we missed that shift on the long decline
Long may you run.

Sie hätten es versäumt, sangen die beiden mit ihren dünnen Stimmen, auf dem langen Niedergang, dem langen Weg nach unten, rechtzeitig umzuschalten. Beide sind im Lauf ihrer Karriere immer wieder mustergültig gescheitert und waren nach allen Regeln des Musikgeschäfts mehrfach und jedes Mal endgültig erledigt, aber Neil Young hat aus dieser Serie von fiaskösen Niederlagen einen beispiellosen Triumphzug machen können, der auch mit sechzig noch nicht zu Ende ist.

Heute inszeniert Neil Young sich als schnürlhaariger Großvater, Patriarch einer zwischen LSD-, Country-, Blues- Schwermetall- und Grunge-Rock weitverzweigten musikalischen Familie, der dennoch nicht vergessen hat, dass er ein Outlaw ist und sich gegen die ganze Welt zur Wehr setzen muss.

Ein mustergültiges Rock'n Roll-Leben

Neil Young war schon immer älter und ist deshalb heute jünger als alle anderen Musiker aus den Sechzigern, die derzeit ins Rentenanspruchsalter drängen. Schon 1972, und da war er erst 26, wandte sich Young klagend an den "Old Man" und bat ihn um seinen Segen. So schnell verrinne die Zeit, er sei dann doch allein und auf dem Weg zu ihm, dem Alten. "Take a look at my life", flehte er, schau doch her zu mir! Diese jeremiadierende Aufforderung hat Neil Young in fast jedem seiner Lieder wiederholt, eine selbstbewusste Einladung, ihm beim Erwachsen-, dann beim Älterwerden zuzuschauen.

Und führte er nicht ein mustergültiges Rock’n’Roll-Leben? Geboren ist er 1945 weit weg von Nashville, New York und Los Angeles, nämlich im kanadischen Toronto, aufgewachsen, wo der Schlittenhund begraben liegt, weit weg in Winnipeg, dann doch noch rechtzeitig nach Kalifornien entkommen, wenn er auch, typisch der Stenz vom Land, unbedingt in einem Leichenwagen in Hollywood einrollen musste.

An der Westküste trug 1967 schon niemand mehr Blumen im Haar, dafür wurde alles geraucht und geschluckt, was nur reinpasste. Die Doors drohten mit ungeheuerlichen Einsichten ins eigene Ich, Janis Joplin trank sich auf der Bühne ihre mächtige Stimme an, Jefferson Airplane wünschte jedem einen zum Liebhaben, die notwendigen Pillen und ein weißes Kaninchen dazu, die Grateful Dead waren kaum zu sehen, weil sie hinter weihrauchdickem Marihuananebel auftraten, die Beach Boys führten ein gastfreies Haus, in dem jeder barfüßige Junkie willkommen war, solange er eine Wandergitarre umgehängt trug.

» Maybe The Beach Boys have got you now With those waves singing „Caroline No“ Rollin’ down that empty ocean road Getting’ to the surf on time. «

Neil Young ging mit den Beach Boys auf Tournee und freundete sich mit ihrem Schlagzeuger Dennis Wilson an. Der hatte manchmal einen eher kleinwüchsigen Freund dabei, den er Wizard nannte. Dieser Zauberer schwatzte nicht nur jedes einsame Mädchen zwischen Seattle und San Diego aufs Sultanskissen, er konnte offenbar auch noch gottähnlich musizieren. "Er war wirklich sehr, sehr gut", sollte sein Fan Neil Young später sagen und versuchte den netten Kumpel bei den Warner Brothers unterzubringen. "Wenn er eine Band gehabt hätte wie Bob Dylan bei ‚Subterranean Homesick Blues’", dann, ja dann hätte er groß rauskommen können.

Der Zauberer kam auch groß heraus, allerdings nicht bei Warner und nicht als Musiker, sondern als Chef einer Mädchen-Gang, die Roman Polanskis Frau Sharon Tate und noch sechs weitere Menschen in Los Angeles abschlachtete. Der Kerl, der "diese einmaligen Songs spielt und eine Chance bekommen sollte, seine Musik zu veröffentlichen", er hieß Charles Manson.

Maybe The Beach Boys have got you now
With those waves singing „Caroline No“
Rollin’ down that empty ocean road
Getting’ to the surf on time.

In diesem psychedelisch-paranoiden Kalifornien bildete Young mit dem ehemaligen Militärkadetten Stephen Stills aus Dallas die so geniale wie kurzlebige Gruppe Buffalo Springfield, in der er so schüchtern auftrat, dass andere seine Lieder singen mussten. Mit Stills stritt er beinah vom ersten Tag an um die Band, die doch die Byrds beerben sollte, dann aber auch schon wieder zerfallen war. Neil Young schreckte angeblich die Kommerzialisierung und doch hatte er nichts Eiligeres zu tun, als sich einen SoloVertrag zu besorgen.

Bereits seine zweite Platte, "Everybody Knows This Is Nowhere" (1969) machte ihn berühmt. Unterstützt von der Begleitband Crazy Horse besang er das "Cowgirl in the Sand" und weinte über das Unglück "Down by the River". So wie er, so schneidend und unschön, hatte sich noch niemand durch die seinerzeit übliche Radiomusiksuppe gefräst.

Er mochte Kanadier sein, in seinen Songs verstand Neil Young die amerikanischen Mythen wie kein anderer zu feiern. Er trat im Fransenhemd und mit Cowboy-Hut auf, blieb aber immer Herzensindianer und bedrängte seine neuen Mitbürger ständig mit dem Vorwurf, dass sie die wahren Amerikaner, die indianischen Ureinwohner, umgebracht hätten.

In Woodstock fand er wieder mit Stephen Stills zusammen, der sich inzwischen mit David Crosby von den Byrds und Graham Nash von den Hollies zur erfolgreichsten Gruppe des ausgehenden Hippie-Zeitalters formiert hatte. Nur zwei Platten nahmen sie gemeinsam auf, schwelgten in einem oft zuckrigen, aber ungeheuer melodiösen Drei- und Viergesang und feierten sich als "Sternenstaub" und verlorene Kinder des Paradieses, die sich aufmachten, um den Weg um die Welt herum zurück in den Garten Eden zu finden.

Neil Young störte den Schöngesang. Außerdem kam es auf offener Bühne zu heftigen Prügeleien mit dem weit besseren Gitarristen Stephen Stills um die Soli. Wenn sich Young trotz seiner schneidenden Nasalierung doch nicht durchsetzen konnte, verließ er die Bühne lieber gleich.

In Woodstock erlaubte er nicht einmal, dass man ihn an der Gitarre filmte. Etliche Jahre später, als Bob Dylans Begleitband The Band in San Francisco ihr Abschiedskonzert gab, torkelte auch Neil Young auf die Bühne, nuschelte und sang irgendwas und bereute sofort, dass er dabei gefilmt worden war. "The Last Waltz" konnte erst ins Kino kommen, nachdem der Regisseur Martin Scorsese die Kokainflocken vom Film geätzt hatte, die dem Sänger deutlich sichtbar an der Nase hingen.

Kinderlähmung oder Bandscheibenschaden: Young leidet öffentlich

Bob Dylan konnte sich auf Jahre zurückziehen und die anderen über Krankheit, Tod und eine Wiederauferstehung als Doppelgänger spekulieren lassen, Neil Young nahm seine Defekte in aller Öffentlichkeit. Als unvergleichlicher Schmerzensmann des Rock’n’Roll zelebrierte er seine Malaisen auf der Bühne. Das Publikum wurde immer informiert, ob es sich jeweils um Folgen der Kinderlähmung, einen weiteren epileptischen Anfall, vorzeitige Bandscheibenschäden oder ein tückisches Aneurysma handelte.

Wenn es ein populäres Äquivalent der stilvoll leidenden Sanatoriumspatienten des 19. Jahrhunderts gibt, dann ist es diese männliche Kameliendame. Gern hätte er auch noch die Blutstropfen im Taschentuch gezeigt, wenn das seine dafür nicht nach Cowboy-Art zu bunt gewürfelt gewesen wäre. Da er mit Drogen vor allem als Patient zu tun hatte, haben ihm die vielen Krankheiten und Gebresten wahrscheinlich auch noch das Leben gerettet.

Schließlich konnte er David Crosbys Drogenverbrauch aus der Nähe beobachten, denn die vier von Crosby, Stills, Nash & Young hassten sich derart, dass sie sich alle paar Jahre wieder zusammenfanden und dem alternden Amerika versicherten, dass es noch so jugendschön sei wie damals im Schlamm vor Woodstock.

Der durchgeknallte Crosby konnte irgendwann nicht mehr anders, als in Begleitung einer 44er Magnum auf die Bühne zu gehen. Ein Wunder, dass er nicht ins Publikum geschossen hat. Ihm retteten das Gefängnis, eine neue Leber und ausgerechnet die Zusammenarbeit mit Phil Collins das Leben. Dafür starb dann Danny Whitten, Gitarrist von Crazy Horse, an einer Überdosis Heroin.

Although these changes have come
With your chrome heart shining in the sun
Long may you run.

Das Album "Harvest" brachte Neil Young bereits 1972 den größten Erfolg seiner Laufbahn. Das Lied "Heart of Gold" mit der süßlichen Wehklage um die wahre Liebe zwischen Redwood und Hollywood, beförderte ihn zu seinem Entsetzen in alle Hitparaden der bis dahin bekannten Welt. Wieder tauchte er ab, verstrickte sich in technische Spielereien, engagierte Musiker, warf andere raus, wechselte die Frauen, zeugte Kinder und sang Loblieder auf den Präsidenten Ronald Reagan, der für ihn die freie Welt verteidigte. Tiefer konnte er kaum mehr sinken.

Und dann, nach Charles Manson, eine weitere Katastrophe. Neil Young war unversehens, aber keineswegs zufällig zum Helden der Grunge-Generation avanciert. Begeistert hatte er schon die Punkmusik und vor allem die Sex Pistols begrüßt und verbündete sich jetzt mit Pearl Jam gegen die Diktatur der „alten Säcke“. Viele Jahre zuvor hatte er in „Hey Hey My My (Into the Black)“ den klassischen Jugend-Protest formuliert: „It’s better to burn out than to fade away“. Young hatte das immer wieder praktiziert. Er verbrannte sich liebend gern, brachte ohne Not drei LPs in einem Jahr heraus, ging auf Tournee, drehte einen Film und schmiss einen grauenerregenden Sounddreck hinterher, nur um dann schmollend auf seiner Farm herumzulungern, weil er Publikum, Plattenfirma und Kritiker überfordert hatte.

Auch wenn ihn sein Label-Chef David Geffen einmal wegen mangelnder Kommerzialität verklagte, hat Neil Young damit doch nur vorgeführt, dass Musik vor allem Showgeschäft ist und um Gotteswillen nicht ernst genommen werden sollte. Kurt Cobain, der Sänger von Nirvana, nahm den alten Mann mit der klagenden Stimme dennoch beim Wort. Er kritzelte den Satz vom raschen Verbrennen auf einen Abschiedszettel und schoss sich dann den Kopf weg. Neil Young konnte das Lied viele Jahre nicht mehr spielen.

In den achtziger und noch in den frühen neunziger Jahren brillierte Young als amtlich angestellter Klischee-Übersollerfüller: das Baumwollhemd, die Farm, der Hund, Frau, Kind und dazu kraftmeiernde Sprüche, dass sich Amerika auf seine Stärke besinnen und es der übrigen Welt, vor allem den bösen Kommunisten zeigen sollte. Das war genau der „Redneck“, den er voller Abscheu in den Südstaaten erlebt und in „Alabama“ angegriffen hatte. Die Country-Band Lynyrd Skynyrd schlug damals zurück und verteidigte die Leitkultur der ehemaligen Sklavenhalter in „Sweet Home Alabama“.

Country aber war (beim Hl. Hank!) noch nie etwas anderes gewesen als das landläufige Lob von Gut und Boden. Ein Mann brauchte seine Farm, und die von Farm Aid zu Farm Aid immer wieder sinnlos berannte Agrar-Industrie trug immerhin Sorge dafür, dass der endlich auf eigenem Grund & Boden niedergelassene Musiker nie selber die Mistgabel in die Hand nehmen musste. Country macht die Edelsten dumm. Selbst der urbane „Jewboy“ Kinky Friedman sieht sich neuerdings gezwungen, die Todesstrafe doch ganz in Ordnung zu finden, weil er (Motto: „Why the hell not?“) Gouverneur in Texas werden will.

Doch Neil Young hat sich auch von diesem Tiefpunkt erholt. Wenn es sein muss, wenn er „Cortez the Killer“ spielt, ist er noch immer der lauteste Punk-Musiker. In der Film- und Musik-Erzählung „Greendale“, einem pastoralen, uramerikanischen Epos, bekriegt er sich wieder mit den Mächtigen und empfiehlt als Romantiker am Ende doch die Flucht nach innen. Das, nichts sonst, Damen und Herren, dürfen Sie nachmachen.

Neil Young ist noch einmal davongekommen. Er ist sogar schon sechzig. Wer überlebt hat, geht querfeldein, sagt der Outlaw Herbert Achternbusch, oder er sitzt, wie Neil Young, auf seiner Farm in den kalifornischen Bergen und spielt mit der Eisenbahn, die er einst mal seinem Sohn gekauft hat.

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