Es war das Jahr 1979 als ich in das Alter kam und mich intensiver mit Musik beschäftigte.
Das Radio war, besonders in der DDR (Deutsche Demokratische Repubik), ein wichtiges Medium. Durch die Musik werden Lebensgefühle mitgeteilt. Die Persönlichkeit kann besonders bei jungen Menschen gefestigt werden und die Gefühle steigern sich enorm wenn man ausgewählte Musik vereinnahmt. Wenn man sich noch dazu in seiner Freiheit eingegrenzt fühlt bedeutet Musik noch mehr.
Diese musikalische Freiheit schwirrte durch Zäune und über die Mauer gen Osten. - Drugs for Ears- sozusagen.
Westliche Radiosender konnte man im Ostblock nicht blocken.
Gute Musik ist wie ein Lauffeuer, in der Regel war man trotz mancher Störsender schnell informiert.
Auch im Tal der Ahnungslosen, denn Dresden hatte kaum Empfang, kam die Musik nach 3 Wochen an.
Die "professionelle Ostmusik" interessierte mich wenig.
Die Texte waren mir zu zensiert und trotz guter technischer Möglichkeiten der Bands rockte es selten in mir.
Blues- und Rockbands, die des öfteren live in alten Dorfkneipensälen spielten, besuchte ich im Umland gerne und intensiv.
Manchmal stand man 1 Stunde vor der Tür an. Ein Vorteil schneller reinzukommen war, wenn man jemanden vom Einlass kannte. Eingelassen wurde man jedoch meistens, auch wenn die Säle oft arg überfüllt waren. Gefüllt dann mit Langhaarigen Jeanstypen von denen meine Eltern mich gerne fernhalten wollten. Dort wurde viel getrunken und Blues getanzt. Wir waren unter uns und das fühlte sich gut an. Politisch wurde es dabei nicht, denn es wurde "entspannt".
Die Amateurbands rockten richtig ab.Sie spielten Eigenkompositionen. Auch Coverversionen der internationalen Rockgrößen wurden zelebriert. Die Ausdrücke der Bewunderung waren dann: - Das fetzt-, - urst geil- und -das war knorke -.
Dass war das alte meines Vaters und ich nahm es mit meinem Bruder 1978 in Besitz.
1983 kaufte ich mir dann ein brandneues
TESLA B 101, denn gute Kassettenrecorder waren nicht viel billiger und qualitativ hatten sie sich noch nicht bewährt. Außerdem hatte ich ja schon über 25 Tonbänder. Neu dazu kam das Stereo Radio DDR Proxima Quadroeffekt und ein Plattenspieler von RFT sowie gute Regallautsprecher a 18 Watt effektive Leistung. Der ganze Spaß kostete damals über 2400 Mark. Das waren 3 Monatsgehälter eines DDR-Bürgers. Ich war in der Lehre und hatte 135 Mark Lehrlingsgeld im 2. Lehrjahr, wovon ich 60 Mark meiner Mutter als Haushaltsgeld gab. Der Rest war seit meinem 13. Lebensjahr angespart. Eigentlich fürs Moped, das war aber für mich nicht so wichtig. So musste ich doch oft die 15 km mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.
In der DDR kam man schlecht an "Westmusik" ran. Es gab ja als feste Tonträger nur Vinyl (Schallplatten) und Tonband als Kassette oder als Bandspulen fürs große (mobile) Bandgerät.
Der Beginn der digitalen Speicherwelt war im Westen erst ab 1988 im Kommen, jedoch noch allgemein unterschätzt und für die Allgemeinheit zu teuer.
Ich mochte etliche internationale Rockbands, doch die Blues und die Folkmusik waren für mich griffiger und dadurch intensiver.
Ich versuchte anfangs Radiosendungen mitzuschneiden. Jedoch war dies schwer weil oft keine Ansage des Titels gemacht und auch oft ausgeblendet bzw. dazwischengeredet wurde. Im ganzen war das sehr zeitintensiv und nervig. Wenn man dann einen tollen Titel hatte war er zwar von guter Tonqualität aber nicht unbedingt an der Stelle wo man ihn gerne hätte.
So kam man dazu, dass man mit anderen Musikfreunden tauschte. Das hieß: Der Titel wurde überspielt und gleichzeitig geordnet. So konnte man anfangen Übersichtslisten zu erstellen, Qualitätsunterschiede zu registrieren und zu sammeln. Das war von Vorteil wenn man wieder jemanden zum Tauschen hatte. So kam einiges zusammen. Highlights waren immer TV Sendungen a la Rockpalast die man kompliziert am TV aufnahm, wenn sie nicht im Radio übertragen wurden. Alternativ sogar per Mikrofon. Mitunter gab es eine „OST“- Radiosendung des Berliner Rundfunks namens DT 64, die ich öfters auf dem Tonband festhielt. Die Sendung lief eine knappe Stunde. Im ersten Teil gab es „ Ostmusik“ im zweiten Teil „Westmusik“ oder anders rum. So wurde immer mit kurzer Einleitung eine Seite eines Albums vorgestellt, die andere Seite wurde dann mit Sendedatum angekündigt. So hörte ich auch erstmals 25 Minuten am Stück Neil Young. Dabei fiel mir auf dass ich diese Musik aus dem Film „Blutige Erdbeeren“ kannte der 1978 in den Kinos lief. Obwohl ich ihn mit meinen damaligen 14 Lebensjahren nicht verstand, fand ich die Musik im Film interessant.
3 Jahre später sah ich dann den Film „The Band“. Neil Young- live und in Farbe. Dass war genial. Neil war zugedröhnt und ich machte mir Gedanken dass ich wohl nicht mehr viel von ihn habe. Waren doch meine inzwischen lieb gewordenen Musik-Ideale fast alle tot.
Ja, da gab es noch Bob Dylan. Er war mit seinen sozialkritischen und politischen Texten aktuell und er hatte in der DDR einen hohen Stellenwert. Die Songs " Masters of War" und "Hurricane" gingen mir unter die Haut. Im September 1987 sah ich ihn in Berlin-Treptow. Bei geschätzten 200 000 Zuhörern musste ich in eine Flasche pinkeln weil ich nicht aus den Massen raus kam.
Ich erkannte kaum ein Lied wieder weil er so schräg und nuschelig sang, bzw. spielte. Die größte Enttäuschung war jedoch, dass er kein einziges Wort sagte. Dabei standen wir alle so in Hoffnung. Ein Freedom hätte uns doch genügt um eine Revolution anzustimmen.
Die Gerüchteküche erzählte dass er kurzfristig im „Osten“ spielen musste, weil der Vorverkauf in Westberlin so schlecht lief. Ich konnte nicht glauben, dass es daran lag, seitdem war Dylan für mich:
….
Rapidly fadin'.
And the first one now
Will later be last
For the times they are a-changin'. (Bob Dylan)
Tom Petty & The Heartbreakers als Special Guest“ kannte ich kaum, überzeugte mich aber unheimlich musikalisch und stimmlich. Schade dass ich nicht rechtzeitig da war.
Es lag daran dass ganz Südostberlin verstopft war und wir, ohne Eintrittskarten, über den Zaun gestiegen sind.
Auch 1988 ging ich zum Konzert nach Berlin. Unchain my Heart –Tour-1988- Das Ost-Poster hab ich heute noch. Joe Cocker hatte mich schon im Rockpalast oder eine ähnliche Sendung von 1984 ? im TV überzeugt, außerdem war er Woodstockveteran und hat ein Haufen Mist überlebt. War auf jeden Fall ein super Konzert und für mich die beste Zeit seiner Karriere.
Neil Young stand inzwischen an erster Stelle meiner musikalischen Genüsse. Ich träumte davon ihn auch mal live sehen zu können. Unvorstellbar an so etwas zu glauben (in der DDR).
A Dream, it´s only a dream…
Ich hatte die HARVEST- AMIGA- LP die Anfang der 80-iger rauskam. Zu dieser Zeit gab es immer mehr Platten von internationalen (westlichen) Künstlern. 1981 kam ich über eine Bekannte mit einem Seemann in Kontakt. Dieser bekam ein wenig Devisen und konnten sich bei seinem Landgang etwas kaufen. Er hatte eine schöne Plattensammlung und wir versuchten zu tauschen. Er bot mir ein Dreifachalbum an. Es war die DECADE von Neil Young.
Etwas abgegriffen, jedoch nur kleine Kratzer im Vinyl.
Handeln war bei solchen Raritäten eingeschränkt und so bekam ich sie nach Rausgabe einer AMIGA-LP + 200 Mark. Eines Tages lag ich mal wieder im Zimmer auf dem Fußboden, die Boxen 50 cm entfernt und sang zu Neils Musik mit. Meine Mutter kam ins Zimmer und sagte :... „ich kann das Gejaule nicht mehr hören, das hörst du doch schon zum Zehnten mal“. Dann sah sie das Albumcover und fragte woher ich die Platte habe und was ich dafür bezahlt habe. Ich sagte: "120 Mark, aber für 3 LPs". Das kaufte sie mir ab, obwohl sie nur den Kopf schüttelte. Später kam sie noch öfters ins Zimmer und die Szenen wiederholten sich gelegentlich.
Zunehmend hörte ich nur noch Neil Young. Seine zerbrechliche Stimme machten mir Druck aufs Herz, Satzfetzen die ich verstand beflügelten mich. Dieser Kerl, der aussah als wär ihm sein Aussehen scheissegal, umhüllte mich mit einer Wärme und sein Gitarrenspiel machte mich vollkommen high und ging mir später auch endlos im Kopf herum.
Seine Songs waren so einfach und doch einmalig schön.
Inzwischen hatte ich vom Jugendradio DT 64 die „Rust Never Sleeps“,
aus anderen Quellen „Live Rust“ und „Time fades away“ auf Band.
Als Vinyl wie erwähnt, das 3-Fach-Album „Decade“ und die AMIGA-LP „Harvest“. (AMIGA ist das Ost-Label)
1987 kaufte ich mir in Ungarn für je 120 Mark die LP„Landing On Water“ und „Live“
Später bekam ich noch die LP „Reactor“ für 100 Mark.
Auch 3 Dylan Platten waren in meinen Bestand.
Im Notfall für den Tausch vorgesehen.
Ein anderes Hobby war auch das Sammeln von Zeitungsausschnitten sowie Bilder und Fotos einiger Rockgrößen. Später kam ich auch noch an etliche Neil Young und einige Bob Dylan-Texte ran die ich abschrieb. Diese versuchte ich zu übersetzten, obwohl ich kein Schulenglisch hatte gelang es mir nur oft wörtlich.
Dann kam das Jahr 89. Im Januar starb meine geliebte Oma aus dem "Westen". Hat sie uns doch 25 Jahre lang mindestens 3 Westpakete im Jahr geschickt und uns im Sommer wie Winter besucht. Meine Mutter durfte seit Jahren nicht mehr rüber. Ab 1987 war die letze Hoffnung gestorben da meine Schwester einen Ausreiseantrag gestellt hatte…Aber das ist auch eine andere Geschichte. Nun versuchte meine Mutter es ein letztes mal zur Beerdigung. Ich versuchte es auch mit einer verlangten Begründung der "Staatsobrigkeit" Ich glaubte selber nicht daran, dass es klappen könnte. Meine Mutter schüttelte mal wieder mit dem Kopf. Es klappte aber, auch wenn nur für 3 Tage.
Es war wie ein (Alb-) Traum... ich konnte selbst nichts realisieren, dass ich von Berlin-Ost nach Berlin-West dann widerum durch den Osten in den Westen nach Hannover fuhr, aber das ist eine andere Geschichte.
Letztendlich kaufte ich fast nichts, weil ich von den Angebot überfordert war.
Meiner Liebsten, die schwanger zu Hause saß, habe ich nur eine Kleinigkeit mitgebracht.
Mir selber gönnte ich die LP Tonight The Night und Zuma. Wie krank war das denn ?
Habe dann, vor lauter Scham, etwas „Westgeld“ gegeben damit sie sich im Intershop etwas kaufen kann.
Die Krönung, als ich 2 Tage zu Hause war... Ein Einschreiben: In 4 Tagen... Einzug zum Reservedienst der NVA (Armee) für 3 Monate. Darauf schwor ich: „Das war das letzte mal, dass die mich einziehen.“ Aber auch das ist eine andere Geschichte.
Im Sommer kam dann meine Tochter zur Welt.
Bis November 1989 hatte ich rund 40 Schallplatten von AMIGA und ca. 12 „ Westplatten“ in der Vitrine.
Das konnte sich schon sehen lassen.
Dann kam die Nacht der Nächte die ich verschlief, denn im TV auf N3 kam ein Film den wir nur bis zum Abspann sahen. Wir gingen danach gleich zu Bett. Die Nacht war kurz, da uns unsere Tochter des öfteren weckte und ich dadurch 1 Stunde verschlief. So kam ich verspätet auf Arbeit und wunderte mich dass die Kollegen feierten. Ich fragte was los sei und sie erzählten mir das die Mauer auf sei. Sie dachten schon ich wär abgehauen.
„Verarschen kann ich mich alleine“ sagte ich, doch irgendwann glaubte ich es ihnen...o.k.
...Keep On Rockin In The Free World...
-20 Jahre später- Ich bin immer noch Neil Young-Fan.
Der Traum ist war geworden und ich war inzwischen auf 9 Neil Young-Konzerte.
1.) 14.08.95, Berlin, Waldbühne
2.) 23.06.96, Düren am Badesee (Wer hat den vollständigen Mitschnitt?)
3.) 09.07.96, Berlin, Waldbühne
4.) 26.06.01, Berlin, Waldbühne
5.) 06.07.01, Hamburg, Stadtpark
6.) 30.04.03, Berlin, Tempodrom
7.) 26.02.08, Berlin, ICC
8.) 19.08.08, Berlin, Zitadelle
9.) 16.06.09, Berlin, O²-World
Und,
ich hab Neil getroffen. Auf der Berlinale 2008. Er stand mir gegenüber und lächelte, sagte aber nichts.
Magie pur. Nur 80 cm entfernt. W A H N S I N N.
Im Moment der Momente war ich so aufgeregt und unter Spannung, dass ich zu Neil sagte:
This is your Reactor -Single. Dass war mir echt peinlich.
Also liebe Leute: Macht Euch vorher Gedanken wenn ihr Neil anssprechen wollt.
Meine Handbewegung (nachdem er mir dass Autogramm gab) weist darauf hin, dass es mir egal war meinen Stift zurück zu bekommen. Auch eine Reaktion meines fast explodierenden Reactors (Gehirn).
Frank hat das Ereigniss auch noch visuell festgehalten. Danke Dir ewig dafür:
http://www.youtube.com/watch?v=KG4hZGkkGB4Im Jahr 2000 (4 Wochen-USA-Urlaub) war ich auch schon mal der Meinung, ich müsse mal die Broken Arrow-Ranch aufsuchen und Neil Juten Tach sagen.
Als ich dann in La Honda war, plagte mich mein schlechtes Gewissen, ich war zu aufgeregt und wollte nicht als Stalker ankommen, so dass ich es beließ. Ich bereue es heute noch nicht so gehandelt zu haben.
Das Produkt des glücklicher Augenblicks als Re-ac-tor-Single mit Autogramm hängt nun eingerahmt und mit Bildern unterlegt an der Wand im Wohnzimmer.